Doz. Dr. phil. habil. Georg Quaas

 

Wir brauchen eine Diskussion über die Wissenschaft, nicht über zu Guttenberg

 

Der Protest von einigen –zig Tausend Promovierenden, Promovierten und anderen Wissenschaftlern, die sich ihren Doktortitel sicherlich redlich verdient haben, erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als ob der Fall zu Guttenberg die unrühmliche Ausnahme eines ansonsten intakten Wissenschaftsbetriebes sei, in dem moralische Werte wie Korrektheit, Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit des Wissenschaftlers der Wahrheit gegenüber tatsächlich noch praktiziert und gelebt werden. Und wahrscheinlich gibt es immer noch einige wenige Exemplare einer Spezies, die sich den Idealen des Wissenschaftsphilosophen Karl Raimund Popper verpflichtet fühlen und Kritik – im Sinne einer Überprüfung wissenschaftlicher Thesen – nicht nur als eine, sondern als die grundlegende Aufgabe eines Wissenschaftlers ansehen. Was soll man aber von einem Doktorvater halten, dem nicht aufgefallen ist, dass Dutzende von Zitaten aus anderen wissenschaftlichen Studien seines Fachgebietes entnommen worden sind? Der sich ganz offensichtlich nicht die geringste Mühe gemacht hat, auch nur einen einzigen Satz seines Zöglings zu überprüfen? Das beste, was man zu seinen Gunsten vermuten kann, wäre wohl dies, dass er die Arbeit gar nicht gelesen hat. Womöglich kam er aus reinem Zeitmangel nicht dazu, schließlich gibt es noch mehr smarte junge Leute, die promoviert werden wollen; außerdem mussten Gutachten geschrieben, Vorträge auf fernen Kontinenten gehalten und andere professorale Aufgaben erfüllt werden. Bei dieser Berufsauffassung darf sich zu Guttenbergs Doktorvater durch die Meinung seines Kollegen Lepsius bestärkt fühlen, der über die Medien verkündet, dass man zu einem Promovenden Vertrauen haben können muss. Anders geht es im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb auch gar nicht, in dem ganz andere Dinge eine Rolle spielen als jede einzelne Arbeit auf ihre Richtigkeit zu überprüfen: Studenten sollen und wollen möglichst rasch ihre Leistungsscheine und Abschlüsse bekommen, um gute Jobs in der Wirtschaft zu ergattern; schlägt jemand die akademische Laufbahn ein, wird erwartet, dass gemeinsam mit dem Doktorvater möglichst viele Publikationen in kurzer Zeit produziert und eingereicht werden, um hohe Punktzahlen bei Rankings zu erzielen, die ihrerseits Voraussetzung dafür sind, selber einmal als Professor berufen zu werden; einmal in dieser Position, kommt es darauf an, große Projekte mit möglichst vielen Stellen an Land zu ziehen, die wiederum mit smarten, aufstrebenden jungen Leuten besetzt werden können, die dann die Arbeit des Professors machen, damit dieser sich ganz seinen Forschungen, Vorträgen und lukrativen Gutachten widmen kann. Zu Guttenberg, mit seinem entwickelten Sinn fürs Praktische, hat die Wissenschaft als eine soziale Veranstaltung begriffen, bei der es auf Erfolg ankommt und die eingangs genannten Werte eher zweitrangig sind. Normalerweise muss auch niemand damit rechnen, dass sich jemand damit abgibt, eine wissenschaftliche Studie zu überprüfen. Das ist bekanntlich nicht einmal bei allen Artikeln hochrangiger Journals in den Naturwissenschaften der Fall, geschweige denn bei einer Dissertation. Der Vorwurf, den man Herrn zu Guttenberg vor allem machen muss, ist weniger moralischer als intellektueller Art: Wie konnte er übersehen, dass er in einer exponierten Stellung Neider auf den Plan rufen wird, die dann genau das tun, was eigentlich der Normalfall in der Wissenschaft sein sollte, nämlich Thesen zu überprüfen? Angesichts dessen, dass die Hauptfunktion der Wissenschaft, nämlich Theorien zu überprüfen, Kritik zu üben und zu verarbeiten, in der Wissenschaftlergemeinschaft fast schon verpönt ist, zumindest aber als unproduktiv angesehen wird, sollte es eher erstaunen, wie viele Akademiker sich trotzdem noch auf jene hohen Ideale berufen.